Die Coronafrage und der Ausnahmezustand

Zur Frage einer verfassungsgemäßen Begründung des Ausnahmezustands

Mit der Coronakrise befindet sich die Bundesrepublik Deutschland auf vielen Ebenen im Ausnahmezustand. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die gesundheitspolitische oder die wirtschaftliche Lage, sondern vor allem die verfassungsrechtliche Situation. Unterdessen haben sich eine Anzahl Juristen gemeldet, die schwerwiegende Bedenken anmelden, von denen stellvertretend nur zwei Stimmen hier knapp wiedergegeben werden sollen. In einem Gutachten für die Bundestagsfraktion der FDP vom 9. 9. 2020 macht etwa der Verfassungsrechtler Prof. Thorsten Kingreen, Regensburg, geltend, dass nach § 5 Abs. 1 S. 1 des Infektionsschutzgesetzes die durch den Bundestag festzustellende „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ voraussetze, dass eine systemische bzw. strukturelle Gefahr für die „öffentliche Gesundheit“ vorliege. Es gehe also vor allem um die Frage, ob die Bevölkerung hinreichend medizinisch versorgt werden könne und nicht um ein Recht eines jeden Einzelnen, sich nicht anzustecken oder nicht krank zu werden. Zu Beginn sei diese strukturelle Gefahr gegeben gewesen, als befürchtet werden konnte, dass nicht genügend geschultes Personal bzw. andere medizinische Güter und Infrastrukturen zur Verfügung stehen könnten, um der Lage Herr zu werden. Doch eine solche Gefahr bestehe nicht mehr.

Gedanken eines lesenden Historikers

frei nach Bertolt Brecht

Wann jemals
sorgten Regierungen selbstlos
ausschließlich um deren Wohl bekümmert
zugetan
sanft liebend
ehrlich und hingebungsvoll
nur für die Schwachen, Alten und Kranken?

Wann?

Doch anno domini 2020
wendete sich der Lauf Geschichte vollkommen:
Nur noch ein einziges Ziel
kannten die Mächtigen:
das Leben der mehr als Achtzigjährigen
zu verlängern
und sei es nur um ein einziges Jahr.

Was ist die „Coronakrise“?

Anstelle einer Verschwörungstheorie

Soll ein Elefant, der von einer Hauskatze angegriffen wird, vor Angst von der Klippe
springen oder sich einfach schütteln, damit die Katze zu Boden fällt? In diesen
Vergleich verpackte der international renommierte Epidemiologe und Stanford
Professor John Ioannidis (in Übereinstimmung mit einer Vielzahl von anderen
wissenschaftlichen Experten) seine Auffassung, nach der das so genannte neuartige
Coronavirus nicht gefährlicher sei als eine Grippe. Die panikartige weltweite
Beängstigung und Beunruhigung, die von diesem Virus ausgehe, so Ioannidis,
entspreche also keiner Gesundheitskrise, sondern einer Wahrnehmungskrise. Die
globale Reaktion auf das Virus sei ein „Evidenz-Fiasko, wie [es] in einem
Jahrhundert nur einmal vorkommt.“ (Wikipedia)
Diese Einschätzung halte ich für zutreffend. Freilich steckt darin eine ungeheuerliche
Behauptung. Sie ist so ungeheuerlich, dass viele davon nichts wissen und nichts
hören wollen. Denn hätten Ioannidis und die vielen Experten recht, so ist nicht Covid-
19 die eigentliche Gefahr, sondern die politische Reaktion darauf, die einen
gigantischen Schaden angerichtet hat. Die Konsequenzen dieser Eingriffe könnten
mittel- und langfristig gewaltig sein: für Gesundheit, Freiheit, Wohlstand, ja für den
Frieden.

Demokratie in einer unsicheren Welt

Erschienen in: SPEKTRUM IRAN  28. Jg.  Nr. 3–2015

Zur Ökonomie des Sinns

Wie eine geistige Ressource erzeugt und wie sie verwirtschaftet wird

Als in den späten 1970er Jahren der König von Bhutan verkündete, für ihn sei nicht
das Bruttoinlandsprodukt, also eine wirtschaftliche Maßzahl, das Ziel staatlichen
Handelns, sondern das Bruttoinlandsglück seiner Bürger, war dies kaum mehr als ein
kurioser Zwischenruf aus der Ecke eines winzigen Himalayastaates. Glück als Ziel
des Regierens? Nicht die Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens, der
Wettbewerbsfähigkeit und überhaupt eine „starke Wirtschaft“? Unterdessen haben
auch Ecuador und Bolivien so etwas wie das „gute Leben“ (Buen Vivir) in ihren
Verfassungen verankert, doch keine der Regierungen der großen Industriestaaten
hat sich bislang solchen Zielsetzungen in offizieller Weise angeschossen. Dabei ist
die Idee keineswegs schlecht. Denn wie hoch das Bruttoinlandsprodukt, wie positiv
das Wirtschaftswachstum eines Landes auch sein mögen, insbesondere bei
vorherrschender und zunehmender Ungleichverteilung ist den Menschen mit
wirtschaftlicher Stärke alleine kaum gedient. Eher sind sie an ihrem eigenen Glück
interessiert und das umfasst weitere Faktoren.
Doch worauf beruht Glück? Die Beantwortung dieser Frage kann von verschiedenen
Seiten her angegangen werden, kaum kontrovers dürfte indessen sein, dass
Menschen neben einem gewissen materiellen Wohlstand so etwas wie Sinn in ihrem
Leben sehen wollen. Glück ohne Sinn – das ist kaum vorstellbar. Was als nicht
sinnvoll erfahren wird, kann kaum erstrebenswert sein. Könnte der Zweck staatlichen
Handelns also auch als die Ermöglichung von Sinn definiert werden? Jedenfalls
scheint es lohnenswert, diesem Gedanken nachzugehen.

Philosophen gegen die Bombe

Wie wir der herrschenden Apokalypseblindheit trotzen

Erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2020

Die relativierte Würde

Menschenrechte als kontextuelle Verfügungsmasse Hamid Reza Yousefis interkultureller Ansatz

Yousefi unterscheidet zwischen Menschenwürde und Menschenrechten. Die Würde des Menschen sei etwas Universelles, die Menschenrechte dagegen seien nicht universell, sondern bloß „erworben“, „verliehen“ und „zuerkannt“. Als lediglich „partikulär“ gültig müssten sie dementsprechend „kontextuell“ interpretiert werden. Der Begriff der Menschenrechte, - so meine Kritik - zu denen Yousefi auch das Recht auf Leben zählt, bezieht sich jedoch auf empirisch konkrete Freiheitsspielräume und entzieht sich insofern einer beliebigen Ausdeutung. Werden freie Handlungsspielräume unter machtförmigen Bedingungen „kontextuell“ negiert, so wird damit auch die Menschenwürde geopfert. Doch den „westlichen“ Menschenrechtsgedanken, der hier zugrunde liegt, verwirft Yousefi als kulturimperialistisch. Allerdings führen Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten seiner Schriften dazu, dass Yousefis Positionen verschwommen bleiben. Auch das macht seine Einlassungen anfällig für den ideologischen Missbrauch im Sinne von Machtinteressen.

Heilung durch Denkverzicht

Die Hellinger-Bewegung als gesellschaftliches Symptom

„Die Prekarität“ - so Pierre Bourdieu - „ist Teil einer neuartigen Herrschaftsform.“1
Wo Herrschaft ausgeübt wird, gibt es auch Widerstand. Doch wie reagieren
Menschen, die dazu keinen Anlass sehen? Naheliegend sind alle Arten von
ideologischer Entlastung, die eine Reduktion von Ungesichertheit wenigstens auf
kognitiver Ebene versprechen, zum Beispiel in Form von Vorurteilen. Das Ansteigen
„gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ als Folge gesellschaftlicher
Desintegration2, kann dabei nicht nur in bildungsfernen Schichten beobachtet
werden, sondern breitet sich, wie das Phänomen Thilo Sarrazin zeigt, auch in den
besser gebildeten Kreisen aus. Generell kann angenommen werden, dass als
Reaktion auf die Destabilisierungen der Gegenwart tendenziell fundamentalistische
Weltinterpretationen zunehmen.3 Sie finden ihren Kern in Formen eines neuen
Autoritarismus. Von den lange gültigen Werten der freiheitlichen Aufklärung wird
Abschied genommen. Selbst verschuldet wird eine neue Unmündigkeit gesucht.
Beispielhaft soll hier die im Umkreis und in der Nachfolge des Psychotherapeuten
Bert Hellinger entstandene Bewegung untersucht werden.

Therapeuthische Psychedelik im Untergrund?

Wie ein guter Ansatz verkommt

Trotz ihres wissenschaftlichen Forschungshintergrunds hat sich die so
genannte Psycholytische Therapie verbreitet in eine fragwürdige
Pseudotherapie verwandelt. Sie findet vorwiegend im Untergrund statt.
Zweck dieser Thesen und Ratschläge ist es, über Dunkelseiten und
Gefährdungen aufzuklären.

Die verkehrte Schule in der verkehrten Gesellschaft

Erschienen in: spw 7 |2007